Der Fischer und seine Frau
Kurz erzählt
Es war einmal ein Fischer und seine Frau, die wohnten zusammen in einer kleinen Fischerhütte an der See. Eines Tages hatte der Fischer einen großen Butt an der Angel. Da sprach der Butt zu ihm: „Hör mal, Fischer, ich bitte dich, lass mich leben, ich bin kein richtiger Butt, ich bin ein verwunschener Prinz. Was hilft’s dir denn, wenn du mich tötest? Ich würde dir doch nicht recht schmecken.“ So setzte der Mann den Butt wieder in das klare Wasser, ging zu seiner Frau nach Hause und erzählte ihr von seinem Erlebnis.
„Hast du dir denn nichts gewünscht?“, fragte die Frau. “Das ist doch übel, immer hier in der Hütte zu wohnen. Die stinkt und ist so eklig. Du hättest uns doch ein kleines Häuschen wünschen können. Geh noch einmal hin und ruf ihn! Sag ihm, wir wollen ein kleines Häuschen haben, er tut das gewiss, denn er schuldet dir etwas.“ Der Mann wollte nicht recht, aber seiner Frau zuwiderhandeln wollte er auch nicht, und so ging er hin an die See. Dort angekommen rief er den Butt: „Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttje in der See, meine Frau, die Ilsebill, will nicht so, wie ich wohl will.“ Da kam der Butt angeschwommen und sagte: „Na, was will sie denn?“ – „Ach“, sagte der Mann, „ich hatte dich doch gefangen und wieder frei gelassen und nun sagt meine Frau, ich hätte mir etwas von dir wünschen sollen. Sie mag nicht mehr in der Fischerhütte wohnen, sie will gern ein Häuschen.“ – „Geh nur,“ sagte der Butt, „sie hat es schon.“
Als der Mann heimkam, saß seine Frau nicht mehr in der kleinen Fischerhütte, sondern in einem stattlichen Häuschen aus Stein und war glücklich. So ging es wohl ein paar Tage, da sagte die Frau, dass man sich eigentlich auch ein größeres Haus wünschen hätte können und schickte ihren Mann abermals zurück zur See, um den Fisch um ein großes Schloss zu bitten. Wieder wurde der Wunsch vom Butt erfüllt. Wieder war die Frau des Fischers für den Moment zufrieden.
Doch schon am nächsten Tag wollte sie Königin sein, und als auch dieser Wunsch erfüllt war, drängte sie den Mann dazu, dem Butt abzuverlangen, Kaiserin zu sein, und als auch das erfüllt war, wollte sie Papst werden. Doch auch das war ihr nach wenigen Tagen nicht genug. Nun wollte sie wie Gott sein. Das Meer und der Himmel hatten sich zunehmend schwarz gefärbt und Sturm fuhr dem Fischer um die Ohren. Er rief den Fisch und schrie: „Sie will werden wie der liebe Gott.“ Der Butt antwortete: „Geh nur hin, sie sitzt schon wieder in der Fischerhütte.“ Da sitzen sie noch bis zum heutigen Tag.
Gedanken zum Märchen
- Ein Märchen, das uns mahnt, materiell genügsam und bescheiden zu bleiben? Diese Interpretation liegt auf der Hand, ich denke dieses Märchen aber eher aus der Perspektive der Chance zufrieden (im Sinne von glücklich) zu sein.
- Moralische Apelle sind richtig und nett, aber wirkungslos! Die Option „glücklich“ zu sein hingegen ist existentiell relevant – und kaum jemand würde sich für die eigene Person das Gegenteil wünschen.
- Die Evolution hat uns durch jahrtausendlange, unzumutbare Lebensumwelten den nahezu unstillbaren Hunger nach „mehr“ in das Sehnsuchtsrepertoire tätowiert, um das Überleben irgendwie zu ermöglichen.
- Das führt dazu, dass wir uns kurz nach dem Erreichen eines Ziels schon nach dem nächst Größeren sehnen, (der Computer, die Wohnung, der Urlaub, das Gehalt,…) Und immer wiederholt sich der emotionale Loop des: „Jetzt ist es gut!“ – und im nächsten Augenblick das „Na ja,…. ich brauche mehr, um glücklich zu sein“.
- Die emotionale Verzweiflung eines Multimillionärs, der erkennen muss, dass seine Yacht in Monaco kleiner ist als die seines Nachbarn, scheint die gleiche Intensität zu haben, wie die Unzufriedenheit mit der 30m2 Wohnung im Wunsch nach mehr Lebensraum.
- Die Frage nach dem „normalen Level“ und dem, was man sich moralisch vertretbar wünschen darf, möchte ich aus folgernder Perspektive denken: Wie kann ich zufrieden und glücklich leben? Das Märchen erzählt, dass der Fischer und seine Frau diesen Punkt nicht finden. Ich denke, dass es sich dennoch lohnt, nach ihm zu suchen.
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